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Die Geschichten in uns
Benedict Wells
Stell dir vor, du schreibst einen Roman, und dann kriegst du ein Buch in die Finger, in dem fast alle Fragen beantwortet werden, die dich seit Monaten quälen.
Rezension von Cordt Schnibben
Glücklicherweise hatte Benedict Wells („Vom Ende der Einsamkeit“, „Hard Land“) keine Lust mehr, den nächsten Bestseller-Roman zu schreiben und darum hat er sich hingesetzt und für dich das Buch geschrieben, das dich zum Bestsellerautor macht. Nur ein paar Fragen sind zu klären. Spürst du einen „Funken“, wie Benedict die tolle Idee für einen tollen Roman nennt? Hast du überhaupt eine Geschichte, wirklich? Oder glaubst du, es reicht, so eine Art Tagebuch zu schreiben? Aufschreiben, was du auf deinem super wilden Trip nach Thailand erlebt hast, mit deinen super lustigen Freunden, denen alles Geld geklaut wurde und die Opium rauchten, weil alles so billig war? Woran erkennst du, ob deine Geschichte eine Geschichte ist, reichen dir drei Ideen, eine für den Einstieg, eine für den Mittelteil und eine für das Ende? Solltest du einen allwissenden Erzähler diese Geschichte erzählen lassen, einen unzuverlässigen Erzähler oder einen Ich-Erzähler?
Wenn du das mal geklärt hast, dann kannst du die Geschichte doch einfach so runter schreiben, oder? Aber solltest du nicht mal vorher klären, welche Leute welche Rolle in deiner Geschichte spielen sollen und ihnen mal so eine Art Lebenslauf verpassen? Ist dir das zu umständlich, geht es da schon los mit den Zweifeln? Habe ich die Geschichte nicht schon mal irgendwo gelesen? Für wen schreibe ich die eigentlich? Und falls du das geklärt hast, nach ein paar Wochen Verzweiflung, wie findest du den ersten Satz, den ersten Absatz, die erste Seite? Wie kommst du zur ersten Szene, wer tritt in Erscheinung, wie reden die miteinander? In welchem Tempo erzählst du, und warum solltest du das Tempo öfter wechseln? Falls du Journalist bist, vergiss lieber die Hälfte von dem, was du über gute Texte weißt, aber welche Hälfte? Wie kriegst du es hin, dass „Handlung“ den Text eindeutig dominiert im Verhältnis zu „Beschreibungen“ und „narrativen Zusammenfassungen“? Erzeugt dein Anfang genügend Neugier, um 300 Seiten zu lesen? Gibt es zu viele seltsame Zufälle? Liest sich deine erfundene Geschichte wie erfunden oder ist sie glaubwürdig? Bringen die Rückblenden die Dramaturgie voran? Werden die dramaturgischen Erwartungen der Leser häufig genug missachtet? Kann sich dein Leser die wichtigen Figuren körperlich und charakterlich vorstellen? Welche Sehnsucht treibt deinen Helden an, weckt er / sie die Sympathie und das Interesse des Lesers? Ermöglicht dein Text das Erleben des Geschilderten? Weckt er vorrangig Gefühle oder verbreitet er Informationen? Spricht dein Roman Geschmack, Geruch, Gehör, Gefühl an? Geben deine Dialoge den Figuren Charakter, Klugheit, Humor? Sind sie glaubwürdig, reden sie verschieden genug? Gibt es auf jeder Buchseite ein sprachliches Bild, eine Formulierung, die dein Leser nicht mehr vergisst?
Nur mal angenommen, du schreibst über einen jungen Bremer Hippie, der Ende der sechziger Jahre im Studio der TV-Sendung „Beatclub“ als Kabelträger jobbt, an LSD gerät und Kommunist wird, Ärger mit seinem Nazi-Vater bekommt („Geh doch rüber…), dann rüber geht, sich verliebt, dummerweise in die Tochter eines Stasi-Offiziers im West-Einsatz, der ihn verdächtigt, ein Spitzel des westdeutschen Verfassungsschutzes zu sein (und ein LSD-Dealer), in den Knast kommt, die DDR verlassen muss, seine große Liebe 17 Jahre lang nicht sieht und am Tag nach dem Mauerfall wieder rüber geht, um sie zu suchen, wie sollte der Roman enden? Soll er sie finden? Soll sie längst in Bremen leben? Wenn du das geklärt hast, wie hörst du auf - szenisch, poetisch, nachdenklich, oder so mit einem Cliff-Hanger, dass du gleich den zweiten Band schreiben kannst? Wann weißt du, ob dein Text perfekt ist? Wem gibst du ihn zu lesen? Wie gehst du mit Kritik um? Wie schafft du es, ein Drittel deines Textes zu streichen? Hast du in all den Monaten deinen „Funken“ verteidigt, gegen Selbstzweifel, gegen Einwände, gegen Erschöpfung?
Mal angenommen, du hast irgendwann all das hinter dir, wie findest du einen Verlag? Brauchst du eine Agentin? Was machst du, wenn du immer wieder Absagen bekommst? Gibst du auf oder schreibst du den nächsten Roman? Kannst du dir vorstellen, dass du im Buch „Die Geschichten in uns“ des erst 40-jährigen Autors, der über zwei Millionen Bücher verkauft hat, dass du in seinem Buch auf diese 54 Fragen brauchbare Antworten bekommst? Und auf ungefähr 140 weitere Fragen auch? Und glaubst du, dass du, auch wenn du in deinem Leben nie einen Roman schreiben wirst, dich immer daran erinnern wirst, wer dir zum ersten Mal ganz genau erklärt hat, warum du Romane so gerne liest? Verstehst du, warum ich glücklich bin über dieses Buch, so glücklich, dass ich behaupte, das ist das Buch des Monats?
Hier findest du unseren neuen Workshop mit Benedict Wells.
Benedict Wells: Die Geschichten in uns, 2024, 400 Seiten, Diogenes
Buch des Monats – September
Die schönste Version
Nominiert für den Buchpreis überzeugt Die schönste Version durch seine unverblümte Ehrlichkeit und die tiefgehende Auseinandersetzung mit der weiblichen Sozialisation, patriarchalen Strukturen und Generationenfragen.
Rezension von Luisa Gehnen