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Krieg und Frieden
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Buch des Monats – Oktober

Okaye Tage

Jenny Mustard

Einen Liebesroman, der realistisch, ohne Kitsch die Tiefen und Höhen des Verliebtseins zeigt. Kann es den geben?

Rezension von Wiebke Wetschera

Ich bin kein großer Fan von Liebesromanen. Oft finde ich sie unrealistisch, übertrieben, vorhersehbar. Und „Okaye Tage“ von Jenny Mustard?  Sam liebt Luc, und Luc liebt Sam, soweit okay.

Sie treffen sich im sommerlichen London. Sam, eine spontane und chaotische Schwedin, kommt für ein Praktikum in die Stadt. Auf einer Party begegnet sie Luc, der nach dem Studium noch orientierungslos ist und seinen Platz im Leben sucht. Trotz oder wegen ihrer unterschiedlichen Lebenswege verlieben sich die beiden, wohl wissend, dass ihre Beziehung zeitlich begrenzt sein wird. Denn nach Ende des Praktikums geht es für Sam nach Stockholm zurück und beide wollen keine Fernbeziehung eingehen. 

Mal erzählt Sam, mal Luc. Wir schauen mal in sie hinein, mal in ihn, wir erleben ihre Unsicherheiten, wir erleben seine Unsicherheiten. Und wir kriegen mit, wie unterschiedlich sie dieselben Situationen wahrnehmen. Wir erleben ein spannendes Spiel mit Missverständnissen und Fehlinterpretationen, das die Dynamik ihrer Beziehung immer wieder auf die Probe stellt. Oft wollte ich den beiden helfen, die Sichtweise des anderen zu verstehen. 

Jenny Mustard, geboren in Schweden und lebend in London, hat über 600.000 Follower auf Social Media. Ihre YouTube-Videos wurden mehr als 50 Millionen Mal angeschaut. Zusammen mit ihrem Partner David hostet sie einen Podcast über popkulturelle Themen, sie ist also eine allseits vernetzte Social-Media-Figur, die nun auch mit „Okaye Tage"  ihren ersten Roman vorlegt. 

Was „Okaye Tage" von anderen Liebesromanen abhebt, ist die ungeschönte Darstellung einer Beziehung. Die beiden Hauptfiguren verlieben sich, obwohl sie von Anfang an wissen, dass ihre Verbindung aufgrund der äußeren Umstände zum Scheitern verurteilt sein könnte. Es geht nicht um romantische Idealisierungen, sondern um die ganz normalen Herausforderungen des Alltags. Wie fühlt man sich an einem Ort zuhause? Welche Rolle spielt die eigene Karriere im Leben? Wie viele Kompromisse muss man für eine Beziehung eingehen? 

Eine Liebe voller Kompromisse und Unsicherheiten

Mustard gelingt es, große Probleme wie Karriere, Identität, Klimaschutz, Werte subtil in die Geschichte einzuflechten, sie verleihen dem Roman Tiefe, ohne konstruiert zu wirken. Sam sehnt sich nach Zugehörigkeit, ist zerrissen zwischen ihrer Heimat Stockholm und ihrer Liebe zu London;  Luc sucht seine Zukunft im Job, weiß nicht,  was er beruflich machen will. 

 „Aber selbst wenn es uns jetzt mies geht, sagt er, verbringe ich lieber noch zwei miese Tage mit dir als zwei okaye Tage ohne dich“ - gibt es eine schönere Liebeserklärung? Es ist nicht die perfekte, bedingungslose Liebe, sondern eine Liebe, die von Kompromissen, Unsicherheiten, Egoismen lebt. 

Mustard zeigt, dass große Liebe nicht perfekt sein muss, das macht diese Geschichte so greifbar. Man sieht, wie Sam und Luc darum kämpfen, trotz ihrer Unterschiede zueinander zu finden, und erlebt mit, wie schwer es sein kann, sich selbst treu zu bleiben und gleichzeitig in einer Beziehung aufzugehen. In Lucs Entwicklung spiegelt die Autorin, wie das Verliebtsein auch zur Selbstaufgabe führen kann. Mehr als okay.

Es ist faszinierend und traurig zugleich, zu beobachten, wie die beiden um den Erhalt ihrer Beziehung ringen, obwohl sie wissen, dass die äußeren Umstände ihre Liebe zerfressen. Sam und Luc sind Menschen, denen man jederzeit auf der Straße begegnen könnte, ihre Probleme sind universell. Sam hat schwedisch-rumänische Eltern, Lucs Mutter ist früh gestorben– auch diese Erfahrungen bestimmen die Dynamik ihrer Annäherung. Mustard umgeht die typischen Klischees von Liebesromanen und zeigt, dass Beziehungen nicht immer ein Happy End haben müssen. Am Ende zeigt „Okaye Tage", dass es einen Unterschied macht, ob man sich nur für einen Sommer oder für ein ganzes Leben auf jemanden einlässt. 

„Okaye Tage" ist eine berührend echte Liebesgeschichte; ein Buch, das über Wochen nachschwingt, weil es die Frage in mich gepflanzt hat: Wie will ich lieben? 

Jenny Mustard, Okaye Tage, Eichhorn Verlag, 2024, 368 Seiten

Buch des Monats – September

Die schönste Version

Ist es nicht schön, wenn du dich durch ein Buch so sehr verstanden fühlst, dass du dich schämst für Dinge in deiner Jugend? Die schönste Version ist deshalb zurecht für den deutschen Buchpreis nominiert.

Rezension von Luisa Gehnen