
Vincent
April 8, 2025Zeiten ohne Wende
April 28, 2025
Vincent
April 8, 2025Zeiten ohne Wende
April 28, 2025Schreiben über das Schreiben
Schreiben dicht am Leben
Hanns-Josef Ortheil
Hanns-Josef Ortheils „Schreiben dicht am Leben“ ist kein Lehrbuch, sondern ein Schreibverführer – voller Impulse, wie alltägliche Beobachtungen zu literarischem Rohstoff werden. Ideal für alle, die mit offenem Blick und Notizbuch durchs Leben gehen.
Rezension von Jörg Sadrozinski

Der Duden ist seit 1880 das Standardwerk der deutschen Rechtschreibung. Wenn der Duden-Verlag ein Buch über kreatives Schreiben veröffentlicht, erwartet man eine fundierte Grundlage. Hanns-Josef Ortheils „Schreiben dicht am Leben: Notieren und Skizzieren“ ist jedoch kein klassisches Lehrbuch, sondern ein „Schreibverführer“.
Ortheil, Schriftsteller, Drehbuchautor, Pianist und Hochschulprofessor, verzichtet auf strenge Regeln. Stattdessen bietet er Beobachtungen, Miniaturen und praktische Anregungen, die das Schreiben als täglichen Begleiter zeigen. Er betont das unmittelbare Festhalten von Eindrücken, Gedanken und Stimmungen – Fundstücke aus dem Alltag, die literarisch nutzbar sind.
Ortheil illustriert die Vielfalt literarischer Notiztechniken anhand prominenter Beispiele wie Georges Perec und Peter Handke.
Georges Perec: Präzise Beobachtungen
Perec erfasst alltägliche Details minutiös. In „Versuch, einen Platz in Paris zu erfassen“ dokumentiert er über mehrere Tage hinweg alles, was er an der Place Saint Sulpice beobachtet – von vorbeifahrenden Bussen bis zu Passanten. Diese Technik des „erschöpfenden Notierens“ macht das Banale sichtbar und schärft die Wahrnehmung für das Alltägliche.
Peter Handke: Kompakte Notizen
Handkes Notizen bestehen oft aus knappen, poetischen Einträgen. In seinen Notizbüchern kombiniert er Text mit Zeichnungen, um Gedanken und Eindrücke festzuhalten. Diese Methode ermöglicht es ihm, flüchtige Beobachtungen und Stimmungen einzufangen, die später als Grundlage für literarische Werke dienen können.
Ortheil zeigt, wie individuell und vielfältig Notiztechniken sein können. Während Perec durch detaillierte Beschreibungen die Tiefe des Alltäglichen erkundet, fängt Handke mit knappen Notizen und visuellen Elementen die Essenz von Momenten ein. Beide Ansätze verdeutlichen, dass das Notieren ein kreativer Prozess ist, der auf persönliche Weise gestaltet werden kann.
Das Buch lädt ein, die Welt mit offenen Sinnen zu erkunden und dem Drang zum Schreiben spontan und intuitiv zu folgen. Notizhefte, Skizzenbücher und Schreibrituale spielen dabei eine zentrale Rolle – ganz im Sinne Ortheils eigener Praxis, die er offen teilt. So entsteht ein Werk, das Mut macht, eigene Wege zu gehen, Schreibprozesse individuell zu gestalten und sich vom Perfektionsanspruch zu lösen.
Besonders wertvoll ist die Mischung aus theoretischen Überlegungen, autobiografischen Reflexionen und konkreten Übungen. Die Leserinnen und Leser werden nicht belehrt, sondern begleitet – fast wie in einem persönlichen Meisterkurs, in dem die Freude am Schreiben stets im Vordergrund steht.
Aufbau und Kapitelstruktur
Das Buch gliedert sich in 19 Kapitel, die jeweils eine spezifische Herangehensweise an das Notieren vorstellen. Diese Kapitel sind in vier thematische Gruppen unterteilt:
- Elementares Notieren: Fokussiert auf das unmittelbare Festhalten von Beobachtungen.
- Notieren als Fotografieren: Betont die visuelle Erfassung von Momenten.
- Notieren als Porträtieren: Widmet sich der detaillierten Beschreibung von Personen und Charakteren.
- Notieren als Präsentieren: Konzentriert sich auf das strukturierte Darstellen von Gedanken und Ideen.
Jedes Kapitel endet mit konkreten Schreibaufgaben, die dazu anregen, die vorgestellten Methoden selbst auszuprobieren und in die eigene Schreibpraxis zu integrieren.
Zentrale Aussagen
- Notieren als tägliche Übung: Ortheil sieht das tägliche Notieren als essenzielle Praxis für Schreibende, um den kreativen Fluss aufrechtzuerhalten und die eigene Wahrnehmung zu schärfen.
- Vielfalt der Notiztechniken: Anhand von Beispielen aus der Literaturgeschichte zeigt Ortheil, wie unterschiedlich Autoren das Notieren praktiziert haben – von Georges Perecs präzisen Beobachtungen bis zu Peter Handkes kompakten Notizen.
- Notizbuch als kreatives Werkzeug: Das Führen eines Notizbuchs wird als zentrales Instrument dargestellt, um Ideen festzuhalten und als Grundlage für weiterführende Texte zu nutzen.
- Schreibimpulse durch Beobachtung: Das bewusste Beobachten des Alltags dient als Quelle für Schreibimpulse, wobei das Ziel ist, das Gesehene und Erlebte in Worte zu fassen.
Fazit
„Schreiben dicht am Leben“ ist ein praxisorientierter Begleiter für alle, die das Schreiben als kontinuierlichen Prozess verstehen und ihre Fähigkeiten durch tägliche Übungen vertiefen möchten. Es richtet sich an alle, die Schreiben nicht nur als Technik, sondern als Lebensform verstehen. Wer mit offenem Blick durch die Welt geht und den kleinen Momenten literarisch auf die Spur kommen möchte, findet in diesem Buch einen anregenden Begleiter – weit weg von trockener Theorie, ganz nah am Leben.
Schreiben dicht am Leben: Notieren und Skizzieren (Duden - Kreatives Schreiben) von Hanns-Josef Ortheil (Herausgeber, Autor), 2011, Duden-Verlag, 160 Seiten

Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben
Roy Peter Clark, ein erfahrener Journalist und Vizepräsident des renommierten Poynter Instituts, hat ein praxisnahes Handbuch für Autoren, Journalisten und Texter geschaffen.
Rezension von Jörg Sadrozinski