Das Lied des Propheten
Februar 19, 2025
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Buch des Monats – Februar

Kein Licht wie die Sonne

Khashayar J. Khabushani

Was bedeutet es, zwischen zwei Welten zu leben – ohne in eine wirklich hineinzupassen? Khashayar J. Khabushanis Debütroman „Kein Licht wie Sonne“ erzählt von Identität, Zugehörigkeit und den Herausforderungen, seinen Platz in der Welt zu finden.

Rezension von Wiebke Wetschera

Wenn ich diesen Roman mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es: „pur“. Genau das macht ihn so besonders. Alles daran wirkt echt und greifbar – ohne Übertreibungen, ohne künstliche Dramatik, ohne Klischees. Eine Geschichte, die mich von der ersten Seite an in den Bann zieht.  

Ein Junge zwischen zwei Leben

Im Mittelpunkt steht der Ich-Erzähler K, ein Junge mit iranischen Wurzeln, der im San Fernando Valley aufwächst. Sein voller Name: Kyros, benannt nach dem großen persischen Herrscher, der Persien ab etwa 599 v. Chr regierte. Seine Herrschaft gilt als vorbildhaftes Beispiel für Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen und Religionen. Doch K bedeutet sein besonderer Name nichts. Er will einfach nur ein normaler Junge in Amerika sein.  

„Ich sage allen immer, sie sollen mich K nennen. Weil ich, im Gegensatz zu Mama und Baba, hier geboren bin. Und ich will genau wie meine Brüder als ein Junge aus LA gesehen werden, denn das ist die Wahrheit.“  

Sein Vater kam einst voller Hoffnung für ein Ingenieursstudium in die USA. Jetzt verbringt er seine Nächte in Spielhallen und lässt seinen Frust an der Familie aus. Zu lesen, wie K und seine Brüder von ihrem Vater geschlagen werden, oder sich der Vater eines Nachts zu K ins Bett legt und ihn berührt, ist beim Lesen nur schwer zu ertragen. Seine Mutter kämpft sich mit schlecht bezahlten Jobs durch und ist kaum anwesend, seine Brüder Justin und Shawn sind seine engsten Verbündeten. Ihre Spitzenleistungen auf dem Basketballplatz oder in der Schule sind für K nicht erreichbar, doch in ihrer Gegenwart fühlt er sich stark: 

 „…was es heißt, einen älteren Bruder zu haben, auf den man sich verlassen kann, stark genug, um dich hochzuheben, damit die ganze Welt den neuen Meister sieht, höher, als du es dir jemals hättest träumen können.“  

Dann der Schock: Eines Nachts verschleppt der Vater seine drei Söhne in den Iran. Plötzlich wird spürbar, zwischen welchen Welten K hin- und hergerissen ist. Hier die USA, wo seine Freunde, seine Mutter, seine Zukunft sind. Dort der Iran, das Land seiner Eltern, das sich fremd anfühlt.  

Sein bester Freund Johnny ist eine wichtige Bezugsperson für K. Dann verliebt er sich in ihn. Ein großer Teil der Spannung des Buches dreht sich darum, wie sehr diese Gefühle erwidert werden. Noch drängender stellt sich K durch die verbotene Liebe zu Johnny die Frage: Wer bin ich wirklich?

„Ich denke darüber nach, was für ein Mensch ich sein will, habe aber keine Ahnung, wo ich anfangen soll.“  

Ein Roman, der lange nachhallt

Khabushani, der in Los Angeles aufgewachsen ist und einen Teil seiner Kindheit im Iran verbracht hat, erzählt in seinem Debüt viel von seiner eigenen Geschichte. Seine Sprache ist klar und poetisch, seine Erzählweise ungeschönt und direkt. Er verzichtet auf große Erklärungen und lässt Bilder und Emotionen für sich sprechen – gerade dadurch entfaltet die Geschichte ihre volle Wucht.  

Monate später kehren K und seine Brüder allein und erschüttert in die USA zurück. Die Flucht aus dem Iran gelingt ihnen gegen den Willen ihres Vaters nur mithilfe ihrer Tante. Zurück im alten Leben beginnt für die drei ein neuer Kampf: ihren eigenen Weg zu finden, ohne einander zu verlieren. In einer Welt, in der sie nach den Anschlägen des 11. September 2001, durch ihre Herkunft als „Terroristen“ gebrandmarkt werden. 

„Dann neige ich mein Gesicht zum Himmel, mache die Augen zu und sage mir, dass es wahr ist. Wir sind wieder zu Hause, Baba ist nicht da und er kann uns nicht mehr von hier fortreißen.“ 

Ks Geschichte hat mich tief berührt, weil sie mich an eine Zeit erinnert hat, in der ich mich ebenfalls verloren fühlte – auf der Suche danach, wer ich sein will. Und auch wenn ich inzwischen erwachsen bin und es aus gesellschaftlicher Sicht längst wissen sollte, spüre ich diesen Kampf auch heute noch. Das ist die Stärke dieses Buches: Es zeigt, dass Identität nichts Statisches ist, sondern ein fortwährender Prozess des Entdeckens und Verstehens.  

Auf 242 Seiten entfaltet Khabushani eine Geschichte von Migration und Identität, von Gewalt und Widerstandskraft, von queeren Erfahrungen und dem unbedingten Wunsch nach Zugehörigkeit - eine Geschichte vom Überleben.  

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