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März 25, 2025
Schreiben dicht am Leben
April 22, 2025
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Schreiben dicht am Leben
April 22, 2025Wiederentdeckt
Vincent
Joey Goebel
Was würdest du tun, wenn du am Ende deines Lebens an allem zweifeln würdest, was du je geschaffen hast? In „Vincent“ gerät die gleichnamige Hauptfigur ins Zentrum der Pläne eines Mannes, der sein Lebenswerk umkehren will.
Wiederentdeckt von Dominik Steiniger

Die Handlung von „Vincent“ nimmt ihren Lauf, als Foster Lipowitz seinen Plan fasst, die Kulturindustrie auf den Kopf zu stellen. Der Medientycoon hat Millionen Menschen jahrzehntelang mit seichter Unterhaltung versorgt. Er konsumierte nie das, was er produzierte und ihn reich machte – doch jetzt, wo ihm der Tod durch den Krebs bevorsteht, will er seinen Reichtum einsetzen, um der Welt echte Kunst zu schenken. Er, selbst nicht mit dem nötigen Talent und noch weniger Zeit ausgestattet, tut das, was er sein Leben lang perfektioniert hat: Leute finden und bezahlen, die den Job erledigen. Hier beginnt die Geschichte von Vincent Spinetti – seine Mutter meldet sich auf eine Anzeige, mit der junge Talente für Lipowitz’ Plan gesucht werden. Vincents späterer Manager Harlan besucht den Jungen nach dem ersten Schuljahr und sieht sein Potential. Vincent besucht daraufhin, bis er volljährig ist, die New Renaissance. Das von Lipowitz dafür geschaffene Internat trainiert 450 künstlerisch hochbegabte Jugendliche, die später die Geschichten und Melodien für Lipowitz’ Kulturrevolution erschaffen sollen.
Glückliche Menschen sind grottige Künstler
Am Ende seiner Ausbildung bei New Renaissance ist Vincent einer der Auserwählten. Immer an seiner Seite: der inzwischen Freund gewordene Manager Harlan Eiffler. Für ihn steht früh fest: Vincent ist genial, der richtige für den Job. Aber Lipowitz reicht das nicht, er glaubt: Damit sein Genius sich in seinen Werken zeigt, muss Vincent leiden (Im Original heißt der Roman Torture the Artist, dt.: Foltere den Künstler). Deshalb stellt ausgerechnet Harlan sicher, dass Vincent nie lange glücklich bleibt – ausgestattet mit den Mitteln von Lipowitz, sorgt er für Brüche in Vincents Leben: In der Teenagerzeit pflegt er Vincents zwischenmenschliche Unbedarftheit, festigt seinen Status als Außenseiter. Als Vincent beginnt, sich für Mädchen zu interessieren, ermöglicht er Beziehungen, um sie dann zu sabotieren. Er verstärkt Vincents Entfremdung von seiner Familie aus der weißen Unterschicht, hält den Schmerz der Entwurzelung aber immer präsent.
Wie unterhaltsam darf Leid sein?
Die Protagonisten in „Vincent“ werden deutlich mehr von ihren Schwächen als von ihren Stärken bestimmt, Helden gibt es nicht. Die Beziehung zwischen Harlan und Vincent ist das Rückgrat der Geschichte, man kauft Harlan die Zuneigung zu Vincent zu jedem Zeitpunkt ab, obwohl er ihm gleichzeitig die schlimmsten Dinge antut. Auch der verbitterte Harlan bekommt so charismatische Momente – durch die Beziehung der beiden gelingt es Goebel, dass sich Schwermut und Düsterkeit erst nach und nach in die Erzählung einschleichen und nur gegen Ende der Handlung ihre volle Härte entwickeln, als die Gruppe um Eiffler die Quälereien gegen Vincent auf die Spitze treibt. Die Geschichte ist trotz des Leids von Vincent unterhaltsam und so profitieren auch wir Leser von diesem Leid, genau wie Foster Lipowitz, Harlan Eiffler und Vincents fiktives Publikum. Sein Schmerz ist Fantasie. Doch was ist mit den Trennungsschmerzen von Robbie Williams und Taylor Swift? Den Depressionen von Kurt Cobain oder gar den Diskriminierungs-Erfahrungen marginalisierter Künstlerinnen und Künstler, aus denen Popkultur wurde? Ist es unmoralisch, dass wir uns an Liedern, Geschichten und Filmen erfreuen, die aus dem Leid anderer Menschen entstanden sind? Macht es einen Unterschied, dass es in ihrem Leben keine Harlan Eifflers gab, die ihnen Leid als Mittel zum Zweck zugefügt haben?
So viele Fragen Joey Goebel in seinem Debüt auch aufwirft, Antworten muss sein Publikum selbst finden. Über zehn Jahre nach dem ersten Lesen stellt mich heute vor allem der Sexismus im Buch vor Herausforderungen: Frauen spielen keine echte Rolle, sie sind Vehikel für die Geschichten der männlichen Figuren. Harlan Eiffler reflektiert als Ich-Erzähler vor allem den Sexismus der Männer um ihn herum, sein eigener bleibt von dieser Reflektion unberührt. Wenn man es gut meint, kann man das Joey Goebel als einen impliziten Kommentar auf den Sexismus der Kulturbranche auslegen. Der große Rahmen, die Frage nach der Originalität der Kunst, ist heute aktueller als bei der Erscheinung im Jahr 2004. Und wenn heute schon die gleichen Melodien im Radio laufen und die gleichen Superhelden im Kino die Welt retten – ja, dann kann man sich ruhig ein eigenes Bild machen, indem man dieses Buch in die Hand nimmt: Ob es nun das erste Mal ist oder das fünfte – immerhin weiß man dann, woher das Gefühl kommt, dass man diese Geschichte schon mal gehört hat.
Joey Goebel, Vincent, Diogenes, 2007, aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans M. Herzog und Matthias Jendis (Original: Torture the Artist, 2004, MacAdam/Cage)

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