Das große Spiel
Januar 6, 2025
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Wiederentdeckt

Der Schuhu und die fliegende Prinzessin

Peter Hacks

Ein Vogel, der Mächtige lenkt, die Liebe sucht und stets ein Ass im Ärmel hat: Peter Hacks’ „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ ist ein ebenso kluges wie fesselndes Märchen. Mit viel Ironie erzählt es von zeitlosen Kämpfen um Macht, Menschlichkeit und Glück.

Wiederentdeckt von Ania Faas

Die Frau des Schneiders – „er wurde ständig schmaler, doch sein Beutel nicht dicker, und wie er sich auch plagte, er blieb immer auf der Hefe sitzen“ – erwartet das zehnte Kind. Nur, was die Mutter im Arm hält, als er nach ihr sieht, ist ein Ei. Erst nach heftigem Traktieren mit Siedewasser, Rinderhufen und schließlich einem Vorschlaghammer schlüpft aus dem Ei der Schuhu, ein winziger Vogel mit Daunenflaum.

„Da saß er nun und betrachtete seinen Vater mit einem unschuldsvollen Aufschlag seiner goldenen Augen.“

So kommt er zur Welt, der charismatische Actionheld in „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ von Peter Hacks. Das Märchen erzählt seine Lebensgeschichte zwischen Liebe und Weltpolitik in 21 Kapiteln von manchmal nur einer Seite Länge. Jedes Kapitel endet mit einem zweizeiligen Fazit in Reimform. Des Schuhus Geburt auf dem Amboß des Schmieds etwa mit: Das kluge Küken nimmt sich Zeit/der kommt späte, der kommt weit.

Weit kommt das hochintelligente Schneiderkind in jeder Hinsicht, es reist aus der Kleinstadt zu fernen Horizonten und vertikal durch die Milieus. Wem der Vogel ein Schnippchen schlägt, der schluckt die Niederlage herunter und sucht stattdessen die Freundschaft des bewundernswerten Wesens, weil es unfehlbar „aus wenig viel macht“. Von seinem Witz und strategischen Gespür möchte nicht nur der Bürgermeister profitieren, sondern auch der Großherzog von Coburg-Gotha und der Kaiser von Mesopotamien. Sie alle fühlen sich von ihm verstanden, handeln plötzlich weise, überwinden Konflikte.

60 Jahre alt ist dieses Märchen heute, und was hat sich verändert? An die Stelle der Großherzoge und Kaiser, die es schon damals nicht mehr gab, sind neue Mächtige getreten. Ziemlich schnell zeigen sich vertraute Figuren in den Umrissen, vor unserer Haustür, in Europa, in den USA: „Der, was er brauchet, nennt sein eigen/Wie soll er ein Verständnis zeigen?“

Außer Politik bewegt den Schuhu natürlich auch die Liebe. Als die Prinzessin von Tripolis in sein Leben tritt, erschrecken beide vor Glück „und ihre Blicke versenkten sich ineinander“, doch es wäre kein Text des Romantik-Hassers Peter Hacks, wenn die zärtlichen Melodien nicht abrupt verstummten. Der Alltag kehrt ein, sie heiratet einen anderen Mann – nicht schlimm, einfach Leben, es gibt ein Happy End.

Peter Hacks schreibt „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ hinter der frisch erbauten Mauer, 36 Jahre alt, seine anstrengende Persönlichkeit steht da noch am Beginn einer rasanten Shitstorm-Fahrt ins Abseits. Seit er, gegen „Nazistan“ protestierend, von München in die DDR übersiedelte im Gefolge von Bertolt Brecht, sind Debatte und Meinung sein täglich Brot. Tausende Briefe aus Hacks ́ Nachlass zeugen davon, wie er sich, als Dramaturg des Deutschen Theaters und später als gefeierter Schriftsteller, mit Kolleginnen und Kollegen austauscht, lasst uns über alles reden, lautet seine Devise, aber er ist auch Ulbricht-Fan und Verfechter der Abschottung der DDR. Dass jemand das Maul aufreisst und Ahnung hat, zieht in Ost und West viele Bewunderer an, bis er es endgültig übertreibt: 1976 schickt er dem Liedermacher Wolf Biermann bei dessen Ausbürgerung hinterher: „geh du nur, mitsamt deinen schlechten, holprigen Reimen.“ Freundschaften zerbrechen, in Westdeutschland werden die Bühnenstücke des Autors abgesetzt.

In dem melancholischen Schuhu aber konzentrieren sich Hacks ́ Genie und seine Liebe zu Intelligenz und guter Vorbereitung. Aus der „Märchen-Novelle in vielen Kapiteln“ wurden über die Jahrzehnte ein Bühnenstück, ein Schallplatten-Hörspiel, ein Kinderbuch, eine Oper. Jeder einzelne Satz ist von makellosem Rhythmus und überraschendster Wortwahl, jeder Abschluss steckt voller Energie. Und unter dem ironischen Grundton schwingt noch, leise, ein für die Schwächen der Menschen verständnisvolles Summen mit.

Zweifellos wäre heute auch Peter Hacks Gegenstand des Streits, ob Werk und Autor zu trennen sind. Sicher würde er sich wortgewandt verteidigen, würde sagen: Besser Märchen erzählen als Desinformation posten. Ja, viele, die den Schuhu kennenlernen, können ihn nicht mehr vergessen. „Lieb weiß von Lieb nicht viel, sie wissen/Nur, dass sie immer lieben müssen.“

Peter Hacks, Der Schuhu und die fliegende Prinzessin, Insel-Bücherei 1327, 2010 (Erstveröffentlichung 1964 in „Sinn und Form“)

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