Was spricht für den Ich-Erzähler?

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    Book Talk
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    #431

    Cordt Schnibben
    Administrator

    Benedict Wells rät ja dazu, verschiedene Erzählperspektiven auszuprobieren. Ich hatte zunächst einen Er-Erzähler gewählt, weil ich glaubte, dadurch eine Distanz zu meinem Journalisten-Ich zu schaffen. Die erste Test-Leserin, der ich den Text gab, monierte, man wisse nicht, wer da erzählt und warum er die Geschichte erzählt, die sehr intim war. In einer Nachtaktion drehte ich die ersten beiden Kapitel um 180 Grad, schrieb sie neu aus der Ich-Perspektive des Helden, schickte die Version am Morgen der Leserin. Sie war begeistert, ich hatte in der Nacht schon beim Schreiben gemerkt, das alles floss. Habe dann den ganzen Text umgeschrieben, dauerte drei Wochen. Um dann vier Monate später dem Ich-Erzähler noch mal einen anderen Dreh zu geben, dazu später mehr. Welche Erfahrungen habt ihr mit der Erzählperspektive gemacht?

    #621

    AKRink
    Teilnehmer

    Mein erster (Jugend)roman hatte eine Ich-Erzählerin. Da das schon 15 Jahre her ist, weiß ich nicht mehr genau, was damals meine Überlegungen dazu waren. Da es eine sehr persönliche Geschichte war, wollte ich auf jeden Fall, dass man ganz nah an der Protagonistin dran ist. Und dass man ihre ganz subjektiven, teilweise fragwürdigen und dennoch (hoffentlich) immer irgendwie nachvollziehbaren Gedanken mitbekommt. Sie trifft in der Story einige extreme Entscheidungen, und das hätte nicht funktioniert, wenn man ihre Beweggründe dafür nicht von ihr selbst erfahren hätte (ohne dass man diesen immer zustimmen müsste).

    Nun sitze ich an meinem zweiten Roman und probiere etwas anderes aus: Es gibt einen bzw. mehrere Er- (eher Sie-)Erzähler. Sprich, die Geschichte wird in der dritten Person erzählt, aber der Erzähler ist immer an genau einer der beteiligten Personen dran, erzählt die Situation aus ihrer Sicht. Er kann dabei immer dieser einen Personen in den Kopf schauen, ihre Gedanken und Gefühle wiedergeben. Was zeitgleich in den anderen vorgeht, weiß er nicht, kann höchstens das interpretieren, was er (durch die Augen „seiner“ Person) sieht. Die Perspektive wechselt von Kapitel zu Kapitel zwischen den Hauptfiguren, sodass man ständig eine andere Sichtweise einnimmt. Das ist relativ herausfordernd und komplex zu schreiben, macht aber auch großen Spaß und scheint (bis jetzt) gut zu funktionieren.

    #655

    Wiebke Wetschera
    Administrator

    Mein erster (Jugend)roman hatte eine Ich-Erzählerin. Da das schon 15 Jahre her ist, weiß ich nicht mehr genau, was damals meine Überlegungen dazu waren. Da es eine sehr persönliche Geschichte war, wollte ich auf jeden Fall, dass man ganz nah an der Protagonistin dran ist. Und dass man ihre ganz subjektiven, teilweise fragwürdigen und dennoch (hoffentlich) immer irgendwie nachvollziehbaren Gedanken mitbekommt. Sie trifft in der Story einige extreme Entscheidungen, und das hätte nicht funktioniert, wenn man ihre Beweggründe dafür nicht von ihr selbst erfahren hätte (ohne dass man diesen immer zustimmen müsste).

    Das finde ich total nachvollziehbar! Gab es nach Fertigstellung des Romans nochmal Diskussionen darum? Und hast du dich jemals gefragt, ob du es lieber hättest anders machen sollen?

    #656

    Wiebke Wetschera
    Administrator

    Nun sitze ich an meinem zweiten Roman und probiere etwas anderes aus: Es gibt einen bzw. mehrere Er- (eher Sie-)Erzähler. Sprich, die Geschichte wird in der dritten Person erzählt, aber der Erzähler ist immer an genau einer der beteiligten Personen dran, erzählt die Situation aus ihrer Sicht. Er kann dabei immer dieser einen Personen in den Kopf schauen, ihre Gedanken und Gefühle wiedergeben. Was zeitgleich in den anderen vorgeht, weiß er nicht, kann höchstens das interpretieren, was er (durch die Augen „seiner“ Person) sieht. Die Perspektive wechselt von Kapitel zu Kapitel zwischen den Hauptfiguren, sodass man ständig eine andere Sichtweise einnimmt. Das ist relativ herausfordernd und komplex zu schreiben, macht aber auch großen Spaß und scheint (bis jetzt) gut zu funktionieren.

    Ich finde das beim Lesen total interessant die Perspektiven zu wechseln, weil man als Leserin dann das Gefühl hat, mehr zu wissen als die Protagonisten. Außerdem bringt es Abwechslung rein. Magst du mal ein paar Zeilen hier reinposten? Mich würde interessieren, ob du dann in den unterschiedlichen Kapiteln auch anders formulierst.

    #663

    AKRink
    Teilnehmer

    Nein, weder der Verlag noch ich haben das nochmal hinterfragt. Ich glaube, bei der konkreten Geschichte war einfach recht offensichtlich, dass es genau diese Perspektive und Art der Erzählung braucht.

    #664

    AKRink
    Teilnehmer

    Mein erster (Jugend)roman hatte eine Ich-Erzählerin. Da das schon 15 Jahre her ist, weiß ich nicht mehr genau, was damals meine Überlegungen dazu waren. Da es eine sehr persönliche Geschichte war, wollte ich auf jeden Fall, dass man ganz nah an der Protagonistin dran ist. Und dass man ihre ganz subjektiven, teilweise fragwürdigen und dennoch (hoffentlich) immer irgendwie nachvollziehbaren Gedanken mitbekommt. Sie trifft in der Story einige extreme Entscheidungen, und das hätte nicht funktioniert, wenn man ihre Beweggründe dafür nicht von ihr selbst erfahren hätte (ohne dass man diesen immer zustimmen müsste).

    Das finde ich total nachvollziehbar! Gab es nach Fertigstellung des Romans nochmal Diskussionen darum? Und hast du dich jemals gefragt, ob du es lieber hättest anders machen sollen?

    Nein, weder der Verlag noch ich haben das nochmal hinterfragt. Ich glaube, bei der konkreten Geschichte war einfach recht offensichtlich, dass es genau diese Perspektive und Art der Erzählung braucht.

    #665

    AKRink
    Teilnehmer

    Nun sitze ich an meinem zweiten Roman und probiere etwas anderes aus: Es gibt einen bzw. mehrere Er- (eher Sie-)Erzähler. Sprich, die Geschichte wird in der dritten Person erzählt, aber der Erzähler ist immer an genau einer der beteiligten Personen dran, erzählt die Situation aus ihrer Sicht. Er kann dabei immer dieser einen Personen in den Kopf schauen, ihre Gedanken und Gefühle wiedergeben. Was zeitgleich in den anderen vorgeht, weiß er nicht, kann höchstens das interpretieren, was er (durch die Augen „seiner“ Person) sieht. Die Perspektive wechselt von Kapitel zu Kapitel zwischen den Hauptfiguren, sodass man ständig eine andere Sichtweise einnimmt. Das ist relativ herausfordernd und komplex zu schreiben, macht aber auch großen Spaß und scheint (bis jetzt) gut zu funktionieren.

    Ich finde das beim Lesen total interessant die Perspektiven zu wechseln, weil man als Leserin dann das Gefühl hat, mehr zu wissen als die Protagonisten. Außerdem bringt es Abwechslung rein. Magst du mal ein paar Zeilen hier reinposten? Mich würde interessieren, ob du dann in den unterschiedlichen Kapiteln auch anders formulierst.

    Genau diesen Effekt will ich erreichen. Wir sehen beim Lesen, dass dieselbe Situation von zwei Figuren ganz unterschiedlich wahrgenommen wird, sie das aber nicht bemerken, weil sie davon ausgehen, ihr Gegenüber empfinde genauso. Oder wir sehen ein Missverständnis entstehen – eine Situation, die man ja auch aus dem Alltag kennt, wenn man einem Gespräch folgt. Nur, dass man dort ggf. eingreifen und es aufklären kann. Beim Lesen können wir nur zuschauen und abwarten, was daraus wird …

    Gar nicht so einfach, eine konkrete Stelle zu finden, an der man es (ohne viel Kontext zu erklären) zeigen kann. Vielleicht hier:

    Ein Abend in eine Restaurant, die erste Hälfte wird beschrieben aus der Sicht der einen Person, sie denkt u. a.:
    „Wie immer dauerte es eine Weile, bis es sich nicht mehr seltsam anfühlte. Doch mit jedem Treffen wurde diese Weile ein bisschen kürzer […]. Bald würden sie an den Punkt kommen, an dem es sich ganz selbstverständlich anfühlen würde, so wie früher, da war sie sicher.“

    Ein paar Seiten später wird derselbe Abend weitererzählt von der anderen Person, und dort steht dann:
    „Natürlich fühlte es sich nicht an wie früher, und das würde es auch nie, doch es tat gut, sich mit einem erwachsenen Menschen außer ihrer Mutter zu unterhalten.“

    Ist nur eine Kleinigkeit, aber vielleicht als Beispiel nicht verkehrt.

    Für die Personen in ihren Abschnitten auch eine deutlich unterschiedliche Sprache zu finden, sodass man am besten auch ohne Benennung wüsste, bei wem wir gerade sind, ist mir noch nicht ausreichend gelungen. Da muss ich beim Überarbeiten auf jeden Fall nochmal ran.

    • Diese Antwort wurde geändert vor 3 Monate, 1 Woche von AKRink.
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