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Wiederentdeckt

Das Lied des Propheten

Paul Lynch

Im dystopischen Roman von Paul Lynch, gerade mit dem Booker Preis ausgezeichnet, ist Irland ein Terrorstaat, gewachsen aus den Ängsten, die gerade auch im deutschen Bundestagswahlkampf geschürt werden

Wiederentdeckt von Miriam Bunjes

Dieses Buch tut weh - und lässt dich nicht mehr los. Leben im Krieg, Terror, in einem Unrechtsregime, das foltert und tötet?  Wie oft wenden wir dieser Tage die Augen ab von Nachrichten aus der Ukraine, aus Nahost, Sudan oder Kongo, weil wir emotional ausweichen wollen? Weil wir trotz Bundestagswahlkampf mit zielloser Migrationsdebatte auch mal wollen, dass uns das alles nichts angeht?  Mit Paul Lynchs fünften Roman geht das nicht. 

Allein das Setting dieser Dystopie - die Hauptstadt Irlands in sehr naher Zukunft -  ist ein Kunstgriff, der uns sofort packt und fest im Griff hält, dank unmittelbarer Sprache. Filter? Gibt es nicht. Zwischen uns und der Geschichte steht in diesem aufdringlichen Buch nichts. Es geht hier um Leben und Tod - auch um deins und meins, und wir können nicht mehr raus aus dieser Geschichte.

Wie bei allen Dystopien - also umgekehrten Utopien - will auch Lynch uns mit dieser Vision warnen. Davor, was passiert, wenn der Staat zur Diktatur wird, wenn sich Abschottungs- und Kontrollfantasien in einer nicht allzu fernen Zukunft fortsetzen. Das Buch entwirft eine Gesellschaft wie sie auch in Orwells „1984“ , Margaret Atwoods „Handmaid´s Tale“, den „Tributen von Panem“ oder in Streaming-Serien wie „Black Mirror“ vorgeführt wurde. Aber Lynchs Propheten-Lied (Originaltitel „Prophet song”) übertrifft sie alle wegen ihrer aktuellen Dringlichkeit.

Es könnte heute sein, überall in Europa

Das „Lied des Propheten“ spielt in Dublin. Es könnte überall in Europa sein, in ein paar Tagen weiter als im Jetzt, das wir kennen. Irland hat sich in eine Diktatur verwandelt, nachdem die National Alliance Party mit Angstkampagnen  - von vielen herbeigewünscht und von genauso vielen nicht ernst genommen -  an die Macht kommt.  Erst schleichend. Dann geht es in rasender Geschwindigkeit gen diktatorischem Alptraum.

Er beginnt damit, dass die neu gegründete Geheimpolizei an die Tür der Familie Stack klopft. Sie wollen Eilishs Ehemann Larry sprechen, er ist stellvertretender Generalsekretär einer Lehrergewerkschaft. Nur ein paar Fragen, man spricht freundlich, beschwichtigend, aber die Dissonanz ist unüberhörbar. Denn: Die Lesenden stecken in Eilishs Kopf, vom ersten Wort an hören sie ihre Gedanken, sehen, was sie sieht, fragen, was sie fragt, tragen ihr Baby auf der Hüfte, spüren die Angst in ihrem Herz.

Sie stecken damit in einer Welt, die sich bereits im allerersten Moment von einer heilen Vorstadtswelt in eine autoritäre Welt verwandelt, aus der jegliche Sicherheiten verschwinden. Aus Eilishs Leben verschwindet nach diesen „nur ein paar Fragen” zunächst unauffindbar Ehemann Larry, kurze Zeit darauf ihr ältester Sohn, der 17-Jährige Marc. Eilish wird überwacht, verliert wegen ihrer verdächtigen (und weiterhin verschwundenen) Familienmitglieder ihre Arbeit. Es werden Notstandsgesetze verhängt, Wehrdienst verordnet, Straßensperren errichtet, das Internet fällt aus, Lebensmittel werden knapp. Durch ihre Augen sehen wir ihren mittleren Sohn rebellieren, ihre Tochter verfallen, ihr Vertrauen zerbrechen, ihre Welt zerfallen. Wir kämpfen Eilishs Kämpfe, schaudern ihr Schaudern, verzweifeln an ihren Zweifeln: Ihre Schwester in Kanada bereitet eine Flucht vor, doch wie kann sie ihren dementen Vater aus Dublin reißen? Soll sie Larry und Marc aufgeben?

„Es kann nicht erlaubt und richtig sein, dass…” , so versucht sich Eilish immer wieder gegen den bürokratischen Arm der Diktatur zu wehren, wenn Kinder aus Krankenhäusern verschwinden, legale Ausreisen nicht mehr möglich sind, Gewalt und Willkür immer brutaler werden. „Es ist doch nicht richtig, dass….” auch ausländische Medien immer weniger berichten. Aber ja, das passiert eben. Weil andere Sachen auch wichtig sind. Und sich alle irgendwann auch mal entziehen wollen. Und sich das mit dem Terrorstaat eben auch schon sehr lange zieht.

Paul Lynchs Sprache ist lyrisch -  in diesem Roman stimmt jedes Wort, sitzt jede Silbe, hat jeder Satz einen Rhythmus, der durch das ganze Buch schwingt, vielmehr rast. Denn das sich zuspitzende Tempo, in dem die Welt zerfällt, hat Lynch meisterhaft in Worte verwandelt (auch die Übersetzung hält mit). Daher wird auch der biblisch anmutende Titel wahr: Wir haben ein Lied und wir haben eine Prophezeiung. Wenn Eilish keine Luft zum Atmen hat, haben wir sie auch nicht.

Will man sowas überhaupt lesen? Ja, unbedingt. Denn dieser Roman ist wie ein Sog, der eine ganz eigene literarische Qualität schafft. Ein Satz, ein Beweis? Ein Satz über Eilish, die versucht, einzuschlafen, im Arm ihr jüngstes, viertes Kind, noch ein Baby: „Was ein Kind dieses Alters von der Welt wissen kann, das Aroma der Angst an ihrem Körper, das Kind lernt diesen Geruch kennen, der sich nicht wegwünschen und auch nicht unterdrücken lässt, das Kind nimmt das Trauma der Mutter in sich auf und speichert es im Körper zu späterem Gebrauch, das Kind als Erwachsener von Furcht und blinder Unruhe befallen, es schlägt nach denen um es herum, sie hält einen beschädigten Mann im Arm.“ Tief, philosophisch, zu Tränen rührend - und zurecht 2023 mit dem Booker Preis ausgezeichnet.  „Prophet Song“ ist Jahrhundert-Literatur, die bleiben wird, auch wenn die Welt zerbricht.

Paul Lynch: Das Lied des Propheten, übersetzt von Eike Schönfeld, auf Deutsch erschienen 2024, 320 Seiten

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