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Wiederentdeckt

Demon Copperhead

Barbara Kingsolver

Eine brandaktuelle Hommage an Charles Dickens: Der mit dem Pulitzer Preis gekrönte Roman über ein Leben voller Ungerechtigkeit in den USA der Hillbillys ist ein grandioser sozialkritischer Schmöker - mit Zeug zum Standardwerk über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert.

Wiederentdeckt von Miriam Bunjes

„Erstmal musste ich es schaffen, auf die Welt zu kommen”: Der erste Satz von 864 Seiten. In dem Leben, um das es hier geht, ist er alles andere als eine Banalität. Zu uns spricht ein Neugeborener vom Boden eines versifften Trailers, neben ihm seine halbtote zugedröhnte Teenie-Mutter. Der kleine Junge steckt in einer intakten Fruchtblase, im Volksmund eine „Glückhaube”, die sein Überleben sichert, bis die Nachbarin ihn zufällig findet: So startet Damon Fields, der wegen seiner roten Haare und der wilden Geburt den Spitzname Demon Copperhead verpasst bekommt, ins Leben. Mit Glück überlebt er in einer Welt, die den Menschen in ihr das Überleben schwer macht. Und Glücklich-Sein erst Recht.

Wie in Charles Dickens „David Copperfield” - der Schablone für Barbara Kingsolers zehnten Roman - erzählt hier ein Kind sein Coming-of-Age in Armut. Und wie im Weltklassiker, in dem Charles Dickens seine eigene unglückliche Kindheit in der Geschichte eines Waisenjungens verarbeitet, zeigt diese Perspektive die sozialen Missstände so eindringlich, dass sich eine Holzhammer-Sozialkritik für die Autorinnen erübrigt. David Copperfield und Demon Copperhead sprechen für sich, in ihren Stimmen, von ihren Leben. Es ist eine hohe Messlatte, die die Autorin in 864 Seiten tatsächlich mit Bravour erreicht. Kleiner Hinweis dazwischen: Dieses Buch können auch diejenigen genießen, die David Copperfield nicht gelesen haben (wobei das auch ein hervorragendes Buch ist!).

Schlimmer geht es kaum…und es kommt doch noch mehr

Anders als das große literarische Vorbild spielt dieser Roman nicht in der Londoner Unterschicht des 19. Jahrhunderts, sondern im 21. in einer Bergarbeitergegend im westlichen Virginia. Unter den Menschen, die in den USA Hillbillys genannt werden und um deren Wählerstimmen gerade fleißig gebuhlt wird. Die Settings - Dickens David Copperfield lebt nach dem Waisenhaus unter Einbrechern in den Straßen Londons - verbindet jedenfalls mehr als sie trennt: Strukturelle Armut, ein dysfunktionales Sozialsystem und erdrückende Gleichgültigkeit den Schwächsten gegenüber - Dickens Herzensthema. Und auch das von Barbara Kingsolver.

Die Arbeiterregion Appalachia ist keine ländliche Idylle, seit dem Siegeszug von Opioiden wie Fentanyl und der Billigdroge Crystal Meth erst Recht nicht. „Hillbillys”, meist mit „Hinterwälder” übersetzt, klingen im Deutschen zwar irgendwie nett nach Natur und etwas Altmodisch-Sein, sind in den USA aber knallhart mit Drogensucht und Opiod-Krise, Perspektivlosigkeit und Gewalt verbunden. Demons Leben wird von ihm selbst in der Rückblende erzählt. In der rau-realistischen Sprache eines wenig gebildeten und noch weniger beachteten, aufmerksamen und klugen Kindes seiner Zeit erzählt er, wie ein gewalttätiger Stiefvater in sein Leben tritt, wie seine Mutter erst den Entzug schafft und im Wal-Mart jobbt, dann aber doch an einer Überdosis stirbt, wie die gütige Nachbarin versuchen muss, die eigenen drogensüchtigen Kinder zu retten, neue Pflegeeltern ihn auf der Tabakplantage schuften lassen, überforderte Behörden ihn aufgeben, Ärzte mit Opiod-Rezepten um sich werfen: Schlimmer geht es kaum…und es kommt doch noch mehr.

Aber: Bei aller Bedeutungsschwere erzählt Ich-Erzähler Demon mit spielerischer Leichtigkeit aus einem Alltag voller großer und kleiner Abenteuer. Und wie das literarischen Vorbild David Copperfield ist auch Demon Copperhead eine Geschichte über Talent, Glück und die Entwicklung eines Menschen zum Künstler: Demon zeichnet und schreibt Comics, erfindet Superhelden, die Humor und Hoffnung in die Leben der Menschen bringen, die wir durch seine Augen kennenlernen. Auch aufgrund der direkten Sprache und den detailreich beschriebenen Personen und Anekdoten ist dieses Buch ein Schmöker im besten Sinne des Wortes, leicht und mit beißendem Humor, dabei sozialkritisch tief: Eine fesselnde Unterschichts-Saga, die sich - einmal begonnen - nicht mehr weglegen lässt und einem dabei viel über gesellschaftliche und politische Gegebenheiten der USA lehrt.

Barbara Kingsolver: Demon Copperhead, 2022, ins Deutsche übersetzt von Dirk van Gunsteren, 864 Seiten, dtv https://www.dtv.de/buch/demon-copperhead-28396

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