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Oktober 16, 2024Okaye Tage
Oktober 16, 2024Wiederentdeckt
Krieg und Frieden
Lew Tolstoi
Tolstois „Krieg und Frieden“ ist ein epischer Roman, der mit brillanten Sätzen Geschichte, Macht und Menschlichkeit verbindet – zeitlos und unvergesslich.
Wiederentdeckt von Alexander Smoltczyk
Das Buch liest man nur einmal. Ein Roman wie Radfahren, irgendwann hat man es geschafft und intus. Vergisst es nicht. Wird es nicht mehr los. Ich will nun nicht behaupten, diese 660 000 Wörter „Krieg und Frieden“ auch nur grob nacherzählen zu können. Vier Diogenes-Bände im Kartonschuber, zehn Zentimeter netto die Dicke. Das ist als Lektürepensum einem Bachelor ebenbürtig. Ich habe komplett vergessen, weshalb im dritten Band jemand mit wilder Stimme „Dunjascha“ schreit, wer dieser Nikolaj Rostow ist und weshalb die russischen Truppen sich bei der Moskworezkij-Brücke so drängelten.
Bei klarem Verstand ist ein Roman unmöglich, der auch in seiner deutschen Ausgabe so anfängt: „Eh bien, mon prince, Gênes et Lucques ne sont plus que des apanages, des ,pomestja‘ de la famille Bonaparte.“ Aber der Dicke-Bücher-Qualitätstext enttäuscht bei Tolstoi nie: Man blättere auf irgendeine Seite, und es wird sich ein Satz finden, der einem doch gern selbst eingefallen wäre. „Der Vater nahm die Mitteilung des Sohnes mit äußerlicher Ruhe, aber mit innerer Wut auf. Weil sein eigenes Leben sich schon dem Ende näherte, konnte er nicht begreifen, dass andere ihr Leben noch verändern, noch etwas Neues hineinbringen wollten.“ Ein perfekter letzter Satz für jede Netflix-Folge, ein Satz, nach dem man weiterschauen muss. Da bringt ein richtig gesetztes Komma einen Satz zum Schweben: „Und, lächelnd den Finger hebend, verließ sie das Zimmer.“
In „Krieg und Frieden“ wimmelt es von vollkommenen Sätzen. Sie machen so glücklich, dass man das Buch manchmal schließen möchte, um diese Momente auszukosten. Irgendwo in diesen 365 Kapiteln muss auch eine Szene versteckt sein, die mir seit damals nicht aus dem Kopf gegangen ist und die ich auch nach langem Blättern nicht wiedergefunden habe. Vielleicht war es auch nur retrograde Phantasie. Der Fürst Wasilij begibt sich auf die Jagd und lässt sich seine Hundemeute bringen. Und Tolstoi schafft es, jeden einzelnen dieser Köter in seinem Wesen zu beschreiben.
Sätze, die in Erinnerung bleiben
Es ist eine Porträtgalerie, die den Blick schärft, und – wieso nicht? – eine Kunst, von der auch Journalistenschüler lernen können. Um beim nächsten Text nicht „sein Hund bellt“ zu schreiben. Oder hier: „Die Mehrzahl der Anwesenden waren alte, wohlangesehene Herren mit breiten, selbstüberzeugten Gesichtern, dicken Fingern und sicheren Bewegungen und Stimmen.“
Das ist ein Satz, der auch nach 150 Jahren noch jede Reportage über eine Vorstandssitzung o.ä. schmücken würde. Dieser Roman ist Mehrgenerationen-Familiensaga und faktensichere Schlachtenbeschreibung, das erzählt Machtpolitik und innerste Seelenqual, verwebt die Weltgeschichte der Mächtigen („…der kleine Napoleon mit seinem teilnahmslosen, beschränkten und über das Unglück anderer glücklichen Blick…“) mit Sinnsuchern und Selbstbezweiflern.
„Eine wirkliche, wahre Geschichte über das Europa unseres Jahrhunderts zu schreiben“, das war sein Anspruch – und wir stehen im übernächsten Jahrhundert, hingerissen und staunend: ecce homo, ecce historia!
Lew Tolstoi, Krieg und Frieden, Hanser Verlag, 2010, 2288 Seiten
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